Lösungsansätze zum Umgang mit „Overcrowding"
„Overcrowding“ war eines DER Themen der ITB. Kein Wunder: Im Sommer 2017 verging kaum ein Tag, an dem die Zeitungen nicht von Destinationen berichteten, die scheinbar an ihre Kapazitätsgrenze stoßen. Auch in der Fachpresse gab es einige Artikel, die sich mit Ursachen und Auswirkungen von „Übertourismus“ beschäftigten. Das Problem ist erkannt und verstanden – nun geht es darum, sinnvolle Lösungen zu finden und diese umzusetzen. Ein paar konkrete Ansätze, die größtenteils auch auf der ITB thematisiert wurden, möchte ich gerne vorstellen.
Zwei Dinge vorweg
1. Viele Lösungsansätze und – auch dieser Artikel – fokussieren rein auf das Overcrowding, also auf die Überbelastung von Destinationen durch zu viele Touristen auf einem Fleck. Für die vor allem mit Overtourism verbundenen Probleme für die Anwohner, also steigende Miet- und Immobilienpreise, Gentrifizierung, Verdrängung der Einheimischen, Veränderung der Einzelhandelsstruktur und eine „Disneyisierung“ von Innenstädten, die zu Ablehnung und Widerstand der Einheimischen führen, braucht es andere, grundsätzlichere Instrumente.
2. Die Tatsache, dass das Problem des Overcrowdings allgegenwärtig thematisiert wird heißt nicht, dass es ein allgegenwärtiges Problem ist. Fakt ist, dass es auch in Barcelona, Dubrovnik, Venedig und Amsterdam – den vermeintlichen „Hot-Spots des Overtourism“ – Orte gibt, die nicht voll mit Touristen sind. Die Massen konzentrieren sich auf wenige Punkte in der Stadt und häufig auf wenige Monate im Jahr. Aber natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass Overtourism an einigen Stellen (auch in Deutschland) real ist und eine Herausforderung darstellt, der wir uns stellen müssen. Der Tourismus darf andererseits aber auch nicht als Unheilbringer verteufelt werden.
Besucherlenkung und Kommunikation als denkbare Mittel
Das wohl wirkungsvollste Instrument, um mit Overcrowding umzugehen, ist eine aktive Lenkung der Besucherströme. Dabei helfen Daten und Technik (Stichwort „Smart Destination“). Und auch der Gast selbst sollte mit einbezogen werden: Das Gefühl, es sei „zu voll“, geht immer auch zu Lasten des individuellen Reiseerlebnisses. Dem Gast also offen zu sagen, was ihn erwartet, ihn vor die Wahl zu stellen, ob er dennoch kommen möchte und ihn damit an der Lösung des Problems zu beteiligen, scheint mir ebenso wichtig.
Ein paar Möglichkeiten, wie das in der Praxis aussehen kann, werden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!) hier vorgestellt.
Möglichkeit I: Zeitliche Entzerrung über das Jahr hinweg
Die Idee der Saisonverlängerung ist zugegeben nicht neu. Die Schwierigkeit besteht aber darin, die Nebensaison nicht nur zusätzlich zu beleben, sondern auch dafür zu sorgen, dass sich die Nachfrage tatsächlich von der Hauptsaison in die Nebensaison verlagert. Das ist vielleicht mit cleveren Marketing-Kampagnen möglich, bei denen vermehrt die weniger gefragten Saisonzeiten beworben werden. Andererseits spielt auch das Thema Kommunikation eine Rolle: Wann kommt es überhaupt zu „Überfüllung“?
Ein gutes Beispiel kommt aus Venedig: In Zusammenhang mit der Kampagne #EnjoyRespectVenezia wurde im Jahr 2017 auf der Internetseite der Stadt ein Kalender installiert, der die tägliche Anzahl Touristen voraussagt. Für heute, 22. März 2018, lautet die Vorhersage „Venice is to be explored“ und die Besucher-Ampel zeigt ein recht freundliches helles Orange. Wähle ich einen Tag im Hochsommer, beispielsweise den 16. August aus, stellt sich die Ampel auf dunkelrot, verbunden mit dem Hinweis „Venice could be very crowded“. Ergänzt ist der Hinweis „favour other destinations in the metropolitan area“, also die klare Botschaft, dass ich an diesem Tag doch lieber woanders hin ausweichen sollte. Die Vorhersagen basieren auf Daten der Vorjahre und dem Wissen darüber, an welchen Tagen es besonders voll wird. Diese Daten mit aktuellen Daten zu Wetter, Anlandung von Kreuzfahrtschiffen etc. zu verknüpfen, wäre die Kür des Ganzen.
Möglichkeit II: Zeitliche Entzerrung über den Tag
Auch hier eine Möglichkeit, um die Gäste besser über den Tag hinweg zu verteilen: Kommunikation. Die Tourismusverantwortlichen in Amsterdam gehen sehr offen mit dem Thema Overtourism um. „Viele der berühmtesten Attraktionen der Stadt Amsterdam sind zu Spitzenzeiten ziemlich stark besucht“ heißt es im Blogbeitrag „5 Geheimtipps – So vermeiden Sie den Großandrang bei den Besucherattraktionen in Amsterdam“. Sehr genau wird dort benannt, dass es direkt nach der Öffnung um 9.00 Uhr oder ab 15.00 Uhr im beliebten Rijksmuseum etwas ruhiger ist. Die Erkenntnisse zu den Reiseströmen und Uhrzeiten basieren auf Auswertungen der Daten der Amsterdam-Card.
In Amsterdam geht man künftig noch einen Schritt weiter: Drei Monate lang wurden auf der Internetseite von Amsterdam Tourismus in Echtzeit die Wartezeiten an den Ticketschaltern von 10 Museen in und um Amsterdam dargestellt. Ziel war es, den Besuchern die Wartezeiten offen zu präsentieren, damit diese vielleicht ihre Pläne ändern, der Publikumsdruck an bestimmten Stellen im Stadtzentrum dadurch genommen wird und die Besucher sich besser verteilen. Das von Amsterdam Marketing, der Stadt Amsterdam und den Museen von Amsterdam initiierte Pilotprojekt mit dem Namen „Live Lines“ ist zwar mittlerweile beendet, die Ergebnisse haben aber gezeigt, dass es bei den Gästen gut ankam. Nun wird an einer Lösung gearbeitet, wie der Service permanent ausgebaut werden kann. Außerdem wird eine App namens „Discover the City“ getestet, die Push-Nachrichten versendet, wenn bestimmte Sehenswürdigkeiten voller sind, als normalerweise. Die App macht auch Vorschläge, welche weniger bekannten Sehenswürdigkeiten eine gute Alternative wären.
Wie auch der Preis bei der Steuerung der Besucher ein Mittel sein kann, zeigt sich am Burj Khalifa in Dubai: Der Zugang zum Turm zu den „Prime hours“ ist teurer, als außerhalb dieser Stunden. Außerdem haben Besucher die Wahl, ob es „nu“ die Etagen 124 und 125 oder gegen Aufpreis auch Etage 148 sein soll, was zusätzlich zu einer räumlichen Entzerrung auf dem Turm führt.
Möglichkeit III: Kontingentierung
In Museen und Freizeiteinrichtungen sind Systeme, bei denen Tickets für bestimmte Zeitfenster gebucht werden, schon lange bekannt. So wird nicht nur eine zeitliche Entzerrung über den Tag erreicht, sondern auch ein Kontingent festgelegt, das maximal ausgeschöpft werden kann. Die Grundidee ist übertragbar:
Der Zugang zur Inkastadt Machu-Picchu in Peru ist seit 2017 nur noch zeitlich begrenzt möglich – entweder vormittags oder nachmittags. Ebenso ist die gesamte Anzahl der Touristen, die zeitgleich das UNESCO-Welterbe besuchen dürfen, limitiert. Ziel ist es, die Besuchermassen besser zu steuern und die Welterbestätte zu schützen.
Auch im Wandertourismus hat das Ticketsystem Einzug erhalten: Der sehr beliebte Milford Track in Neuseeland kann in der Hauptsaison nur gewandert werden, wenn im Voraus alle drei Hütten entlang des Weges gebucht werden. Da das Wandern des Weges nur in eine Richtung erlaubt und Wildcampen verboten ist, gibt es damit ein gesetztes Limit. Die Buchung ist online möglich, wenn das Wunschdatum nicht mehr verfügbar ist, wird automatisch das nächste verfügbare Datum angezeigt.
Das Instrument der Kontingentierung lässt sich auf Städte natürlich schwieriger übertragen, da die Lösung nicht sein kann, Städte hermetisch abzuriegeln. Den einzige mir bekannte Versuch gab 2014 in der Altstadt von Hoi An, einem beliebten Touristenziel in Vietnam. Beim Betreten über die Haupt-Einfallstraßen musste ein Ticket von 120 000 Dong, das entspricht etwa 4,50 EUR, gekauft werden. Das Ticket wiederum berechtigte im Gegenzug zum Besuch von fünf Sehenswürdigkeiten nach Wahl. Nachdem die Proteste der Einzelhändler in der Stadt aber sehr groß waren, wurde der verpflichtende Kauf des Tickets wieder eingestellt und ist nun freiwillig. Ob hinter der Einführung des Tickets der Wunsch nach einer Begrenzung der Touristen oder die Erfindung einer cleveren Einnahmequelle stand, weiß ich nicht.
Aber auch in Dubrovnik, wo der Weltkulturerbe-Status aufgrund der Touristenmassen in Gefahr ist und die lokale Bevölkerung zunehmend unzufriedener wird, soll die Besucherzahl innerhalb der historischen Stadtmauer auf 4.000 pro Tag begrenzt werden. Diese Zahl, die der Bürgermeister versprochen hat, liegt noch unterhalb der von der UNESCO empfohlenen Grenze von maximal 8.000 Menschen pro Tag. Derzeit wird mit Hilfe von Überwachungskameras ein Besucher-Tracking durchgeführt. Noch in diesem Jahr sollen dann Maßnahmen greifen, die die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe sowie Tagesausflüge durch Reiseveranstalter reduzieren. Wie diese genau aussehen, bleibt abzuwarten.
Möglichkeit IV: Räumliche Entzerrung der Reiseströme
Häufig propagiert wird auch eine räumliche Entzerrung der Reiseströme von den touristischen Hot Spots in die umliegenden Stadtviertel. Viele Marketing-Kampagnen großer Städte – ob Hamburgs Initiative „Where the heart is“ oder „Going Local“ in Berlin – fokussieren in den letzten Jahren vermehrt darauf, den Gästen die „echte“ Stadt außerhalb der Hauptsehenswürdigkeiten näher zu bringen. In dem Moment, wo immer mehr Gäste in Wohngegenden strömen und die Bereiche der Stadt für sich entdecken, die vorher eher den Einheimischen vorbehalten waren, kann es aber zu Spannungen und Konflikten kommen. Diese können – sofern sie erst einmal da sind – nur äußerst mühsam wieder „anwohnerverträglich“ zurück entwickelt werden.
Ein kreativer Ansatz, den Tourismus weiter ins Umland zu bringen, kommt aus Amsterdam: Nachdem auch hier schon vor Jahren begonnen wurde, weniger den Grachtengürtel, sondern eher die umliegenden Viertel zu vermarkten, wird der Radius mittlerweile noch deutlich weiter gezogen. Die etwa 30 km entfernten Strandorte Zandvoort, Bloemendaal aan Zee und IJmuiden wurden vor zwei Jahren kurzerhand in „Amsterdam Beach“ umbenannt, das 15km entfernte Schloss in Muiden von „Muiderslot“ in „Amsterdam Castle“. Die Namen können ausländische Gäste nicht nur besser aussprechen, sie suggerieren auch Nähe und bringen die Gäste eher dazu, die Orte zu besuchen. Sinnvoll und notwendig: Im selben Atemzug wurde auch der Radius der Amsterdam CityCard erweitert, sodass die vergünstige Fahrt ins Umland ebenfalls inklusive ist. Das ist sicherlich eine Lösung, die auch auf viele Regionen in Deutschland – beispielsweise Usedom und die davorliegende Küste, Berlin und Brandenburg etc. – übertragbar ist. Mit der Potsdam & Berlin Welcome-Card ist hier zumindest in der Hauptstadtregion schon ein Anfang gemacht.
Aber: Das wird das Kernproblem nicht lösen
Wie schon gesagt, fokussieren die hier vorgestellten Lösungsansätze auf Overcrowding. Um der Herausforderung des Overtourism aber in all seiner Komplexität gegenüberzutreten, braucht es andere Lösungsansätze. Wenn Tourismus langfristig funktionieren soll, ist vor allem eine Tourismus-„Planung“ im Sinne einer räumlichen Planung gefragt – also eine Stadtplanung, die aktuelle touristische Entwicklungen mit einbezieht. Mit Hilfe eines Monitorings, das aus der Sozialen Stadtentwicklung bekannt ist, sollten Parameter wie z.B. die Besucher-Auslastung, Ferienwohnungsangebot, Dichte von Gastronomie, Mietpreisenentwicklung etc. kontinuierlich ermittelt und ausgewertet werden. Darauf basierend können dann vorsorgend Maßnahmen ergriffen werden, die zur Vermeidung und Minderung von Konflikten beitragen. Die Regulierung von Hotelneubauten und Souvenir-Läden in Innenstädten wie zuletzt in Barcelona und Amsterdam oder Maßnahmen, um die Akzeptanz des Tourismus abzusichern wie die aktive Beteiligung von Bürgern vor und während touristischen Infrastrukturprojekten oder der permanente Austausch mit allen Stakeholdern, sind nur wenige Beispiele, die wirken können. Mehr dazu in einem späteren Blog-Beitrag …
Weitere Informationen:
» WTTC/McKinsey&Company: Coping with Success. Managing Overcrowding in Tourism Destinations
» Venedig – Kalender mit Besuchervorhersage
» Amsterdam – Blog-Beitrag Tipps Menschenmassen zu entkommen
» Amsterdam – Infos zur App „Discover the city“
Ein Beitrag von: Silke Orth
Foto: Dimitri Houtteman/pixabay