Leichter gesagt als getan
Im Freistaat Sachsen haben wir die dortigen 224 Touristinformationen (TI) mittels Mystery-Checks (persönlich, telefonisch, e-Mail), einer Webseitenanalyse und mittels Strukturfragebogen zur Organisation und Finanzierung 2015 unter die Lupe genommen. Ein Praxisleitfaden zur Professionalisierung der sächsischen TI wurde im August 2016 veröffentlicht (siehe Link unten) und zentrale Handlungsempfehlungen gegeben. Auf mehrfache Nachfragen will ich nachfolgend gern wesentliche Erkenntnisse und Tipps geben, da sich die Strukturen in Sachsen nicht wesentlich von denen in den anderen Bundesländern unterscheiden.
Aufgabenwahrnehmung: Zu einer TI gehört mehr als die Auskunft am Counter
Mit einem veränderten Informations- und Buchungsverhalten der Gäste (ca. 70% der Deutschen informieren sich online, ca. 20% buchen online), gestiegener Qualitäts- und Erlebnisorientierung verändern sich auch die Aufgaben für lokale Tourismusorganisationen. Die klassischen Leistungen einer TI verlagern sich immer mehr vom Counter auf den Online- und Backoffice-Bereich. Der Bedarf an mehr Personal und einer effizienten Aufgabenteilung und -wahrnehmung wächst damit zunehmend. Wichtig und zentral finden wir fünf Handlungs-/Aufgabenfelder mit beispielhaften Einzelmaßnahmen:
- Führung & Planung: aktuelle und mehrjährige Tourismus- und Marketingstrategie, einjähriger Mediaplan, Erstellung von Statistiken etc.
- Angebots-/Produktentwicklung: Moderation und Impulsgebung für Angebots-, Produkt- und Qualitätsentwicklungsprozesse mit den Leistungsträgern
- Innenmarketing: klare Ansprechpartnerregelung, verbesserte Vernetzung, Durchführung von Informationsveranstaltungen, runden Tischen, AG-Treffen etc.
- Kommunikation & Vertrieb: bedarfsgerechte und gästeorientierte Kommunikation in Kooperation mit regionaler DMO (CRM-Lösung etc.)
- Gästeinformation/-service: entlang der Customer Journey/Dienstleistungskette (vor- während und nach der Reise) mit Unterstützung technischer Instrumente.
Gutes Beispiel: Die vom Land Rheinland-Pfalz geförderten TSC-Prozesse (TSC = Tourismus Service Center) sind bisher vielleicht nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“ zur Neustrukturierung der lokalen Tourismusstrukturen. Sie stellen allerdings ein umsetzbares Modell dar, um die finanziellen und personellen Ressourcen benachbarter Städte, Orte und Verbandsgemeinden zu bündeln, somit die notwendigen Aufgaben gemeinschaftlich und kooperativ wahrzunehmen und die Effizienz zu steigern.
Qualität und Innovation: TI muss steigende Anforderungen erfüllen
Vor dem Hintergrund einer steigendenden Qualitätsorientierung der Gäste ist es unumgänglich, klare Qualitätsstandards zu erfüllen. Ein unzufriedener Gast wird nicht nur nach Alternativen suchen, sondern wahrscheinlich auch weiteren Personen von seinen schlechten Erfahrungen berichten. Wichtig ist eine Qualitätsorientierung entlang der gesamten Dienstleistungskette, da im Tourismus die Attraktivität eines Ortes/Destination von der Qualität aller Leistungsträger abhängig ist (Information, Buchung, Anreise, Aufenthalt, Abreise, Nachbereitung etc.). Ausgewählte Einzelmaßmahnen sind beispielhaft:
- Benennung eines Qualitätsbeauftragten
- Zertifizierung mit SQD und/oder i-Marke
- Durchführung eines professionellen Qualitätsmanagements
- Weiterbildung von Leitung und Mitarbeitern
- Sensibilisierung der Leistungsträger
Gutes Beispiel: Bad Schandau – erste sächsische „QualitätsStadt“. Die Kommune setzt sich branchenübergreifend für mehr Servicequalität gegenüber Kunde und Gast ein und wurde dafür mit der Auszeichnung „QualitätsStadt“ geehrt. Die TI selbst ist seit 2010 mit dem Siegel SQD zertifiziert, seit 2013 erfüllt sie zudem die Kriterien der i-Marke. Als Teil des Netzwerkes Nationalpark Partner Sächsische Schweiz wird außerdem der Nationalpark-Gedanke nach außen transportiert. Neben klassischen Serviceleistungen bietet die TI zudem einen Rad-, E-Bike und Outdoor-Verleih, Fahrkarten für den Nah- und Fernverkehr sowie ein Internet-Café im Foyer an.
Ausstattung: Die TI wird zum Informations- und Kommunikationstreffpunkt
Eine zukunftsorientierte TI minimiert die oft auch durch die räumliche Ausstattung aufgebaute Barriere zum Gast (Stichwort Counter) zugunsten einem offenen, mit Flair und regionalem Charme sowie durch technische Unterstützung aufgewerteten Raumkonzept (siehe hier auch das Handlungsfeld „Digitalisierung“).
- Bedarfsgerechte Basisausstattung, z.B. Ausschilderung, Grundinformationen außerhalb der Öffnungszeit
- Ausrichtung auf zukünftige und wachsende Bedarfe, z.B. barrierefreier Zugang, Nebeneinander von Beratung und Info-Selbstbedienung
- Integration von Kombinationsangeboten, z.B. Radverleih oder Verleih von Wanderequipment, Café in TI
Gutes Beispiel: TI im Conversationshaus Norderney. „Hinter imposanten historischen Fassaden lädt das Conversationshaus zu einzigartigen Eindrücken ein, die keinen Cent kosten. Zwischen komfortablen Sesseln und Lounge-Sitzgruppen spielen Kinder, andere Besucher surfen im Internet, studieren Fährpläne oder erfahren tagesaktuell, was auf der Insel los ist. Im Conversationshaus finden sich außerdem die hilfsbereiten (…) Teams von Tourist-Information, Zimmervermittlung, Veranstaltungsvorverkauf, NorderneyCard-Service-Point und dem Vorbestell-Service.“
Digitalisierung: TI als Vorreiter und Impulsgeber für den Megatrend
Der Megatrend Digitalisierung gilt als Innovationstreiber des 21. Jahrhunderts. Er beeinflusst die Arbeit der TI wesentlich und führt zur Neudefinition der bisherigen Aufgabenbereiche. Der zunehmenden Überführung der analogen Prozesse in die digitale Welt müssen sich die TI stellen. Das digitale Destinations- und Informationsmanagement erfordert technisches Know-How, die Einführung neuer Instrumente und die Optimierung der Kommunikationswege. Beispielhafte Maßnahmen sind folgende:
- Erfüllung technischer Voraussetzungen: WLAN-Hotspots in/um die TI, EDV-/Kommunikationsausstattung der TI sowie der Einbindung in Systeme der DMO etc.
- Bereitstellen von mobilen Anwendungen: mobile Webseiten, Apps etc.
- Einsatz von Info-Terminals zur Selbstbedienung – auch außerhalb der Öffnungszeiten
- Aufbau einer CRM-fähigen Datenbanklösung (in Kooperation mit DMO)
- E-Bike- & Handyladestationen
- Digitaler Wissenstransfer: Förderung der Vernetzung der öffentlichen und privaten Partner untereinander (Filesharing-Plattformen, E-Learning-Module, Social-Intranet etc.)
Gutes Beispiel: Oberstaufen, die sich selbst als „digitalster Kurort Deutschlands“ bezeichnen. Mit Instrumenten wie Google-Street-View, Rund-um-die-Uhr-Service der „digitalen Tourist-Info“, Web-TV, Bewertungen für alle touristischen Dienstleister auf der Ortsseite, freies WLAN usw.
Organisation und Finanzierung: Strategie, Prozess, Struktur, Kooperation
Eine TI der Zukunft sollte als einzelne Einheit oder eingebunden in ein Netzwerk das Ziel anstreben, auf die internen wie externen Kundenwünsche strategisch ausgerichtet zu sein und geführt zu werden. Hierzu bedarf es:
- eines konzeptionellen Verständnisses hinsichtlich der Aufgaben, welche die TI selbst leisten kann und/oder im Netzwerk mit ausreichend finanziellen wie personellen Ressourcen kooperativ lösen will.
- eines Prozesses, der in der TI und bei den kooperierenden öffentlichen wie privaten Partnern ein tiefes Dienstleistungsverständnis verankert
- einer Struktur, die für die Aufgaben ausreichend finanzielle Ressourcen bereit stellt und die Möglichkeit der Erwirtschaftung eigener Erträge bietet. Dies muss nach den neuen EU-Vorgaben beihilfe- und vergaberechtlich sicher organisiert sein
- der Einbindung in das landesweite System der Aufgabenteilung, um Dopplungen zu vermeiden und die Aufgaben effizient zu erfüllen.
Gutes Beispiel: i-Netzwerk Sächsische Schweiz. Der Tourismusverband arbeitet mit zwei eigenen Mitarbeiterinnen und anteilig finanziert durch zwölf Kommunen seit Februar 2016 am Aufbau eines i-Netzwerkes der örtlichen Touristinformationen. Ziel ist es, deren Arbeit untereinander besser zu vernetzen und die Servicequalität der Angebote zu erhöhen.
Fazit oder „Stillstand ist der Tod“
Veränderte Rahmenbedingungen und Gästebedürfnisse erfordern ein Umdenken und eine Neujustierung der Aufgaben lokaler Tourismusorganisationen und damit der TI. Neue Organisations- und Finanzierungsstrukturen sind unerlässlich, da der Tourismus im aktuellen System unterfinanziert, ineffizient und vielfach auch nicht rechtssicher aufgestellt ist. Das heißt nicht per se, dass die Kommunen massiv mehr Geld für die freiwillige Aufgabe bereit stellen müssen. Es bedarf vielmehr einer Aufgabenklärung und effizienten, kooperativen Aufgabenteilung. Der Berg an hierfür notwendigen Maßnahmen lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Aber um es mit den Worten von Herbert Grönemeyer zu sagen: „Stillstand ist der Tod“. Also bitte nicht Erstarren, sondern die Aufgaben abschichten und nacheinander konzentriert und gemeinschaftlich anpacken.
Ein Beitrag von: Dr. Alexander Schuler